Arzthaftungsrecht und Pathologie

Teil 1: Verhalten bei Haftungsfällen

Immer dann, wenn ein Patient einen Behandlungsfehler behauptet oder anwaltlich behaupten lässt, gerät der betroffene Arzt in eine schwierige Situation:

 

Medizinisch kann er den Fall beurteilen, rechtlich ist er Laie. Er wird im Zweifel nicht wissen, in welcher Form er auf einen Anwaltsbrief reagieren soll und welche Rechtsfolgen seine Handlungen und Erklärungen haben. Hinzu kommt die mit der Behauptung eines Behandlungsfehlers verbundene psychische Belastung, die Praxisablauf und Nachtschlaf erheblich stören kann. Der folgende Beitrag richtet sich vor allem an den in wirtschaftlicher Eigenverantwortlichkeit tätigen Arzt, also den Niedergelassenen, den Ermächtigten und den im Reutlinger Modell tätigen Pathologen, da zumindest die in größeren Ketten organisierten Krankenhäuser bereits ein ausgeprägtes Schadensmanagement installiert haben und den bei ihnen beschäftigten Ärzten ausreichende Anleitung im Umgang mit Behandlungsfehlervorwürfen geben können.

 

1. Die Ausgangslage

 

Üblicherweise werden Behandlungsfehlervorwürfe in Schriftform und bereits durch einen Rechtsanwalt erhoben. Das Anwaltsschreiben ist häufig verbunden mit einer Aufforderung, Behandlungsunterlagen herauszugeben und die Verantwortlichkeit für den Schaden des Patienten dem Grunde nach anzuerkennen. Dies erfolgt unter Setzung einer relativ kurzen Frist (zumeist zwei Wochen). Für den Arzt stellt sich nunmehr die Frage, mit wem er sich zuerst besprechen soll.

 

2. Versicherung oder Anwalt? Ein Freund in der Not wird gesucht

 

Wer eine Haftpflichtversicherung hat, hat nicht nur einen Anspruch darauf, dass diese Schäden bei Patienten reguliert, sondern er hat auch Pflichten. Eine der wichtigsten Pflichten (Obliegenheiten) ist die unverzügliche Meldung eines Haftungsfalles.

 

Ein solcher Schadensfall tritt in jedem Falle dann ein, wenn ein Patient einen Behandlungsfehler behauptet. Dies ist unverzüglich der Versicherung mitzuteilen, wobei unverzüglich „ohne schuldhaftes Zögern"; üblicherweise etwa sieben bis zehn Tage bedeutet.

 

Macht kein Patient einen Schaden geltend, sondern der Arzt bemerkt selbst, dass er einen Fehler gemacht hat, ist zu überlegen, ob der Schaden der Versicherung zu melden ist oder nicht. Als Faustformel kann man formulieren, dass jedenfalls dann eine Meldung sinnvoll ist, wenn der Patient selbst von der Fehldiagnose oder dem Fehler informiert werden muss, um Folgeschäden zu verhindern. Eine unterbleibende Information des Patienten ist in diesen Gefährdungsfällen nämlich als (vorsätzliche) Körperverletzung durch Unterlassen anzusehen und sollte unbedingt vermieden werden. In diesen Fällen ist das Tätig werden gegenüber dem Patienten Pflicht, aber andererseits versicherungsrechtlich problematisch, weil damit ein Schuldanerkenntnis verbunden sein kann, das wiederum den Verlust des Versicherungsschutzes auslösen kann. Eine schnelle und umfassende Abstimmung mit der Versicherung ist erforderlich.

 

Erübrigt sich aus medizinischen Gründen eine Information des Patienten, sollte auch nichts an die Versicherung gemeldet werden. Denn jeder gemeldete Schaden wird von den Haftpflichtversicherern summenmäßig bewertet und dem Schadenskonto des betroffenen Arztes zugeschlagen, und zwar gleichgültig, ob ein Schaden tatsächlich am Ende bezahlt wird oder ob es sich lediglich um ein theoretisches Schadenspotential handelt. Dieses Schadenskonto wird dem Arzt dann gern bei der nächsten Beitragsverhandlung vorgehalten mit der Folge, dass durch das Melden nicht eingetretener „Phantomschäden" die Versicherung teurer wird als erforderlich. Dies kann sogar so weit führen, dass ganze Arztgruppen einer Schadenshäufigkeit beschuldigt werden, die in Wirklichkeit gar nicht zutrifft.

 

Es lässt sich also feststellen, dass die eigene Haftpflichtversicherung kein ganz zuverlässiger Interessenvertreter ist. Dies zeigt sich außerdem in einer Regulierungspraxis, die häufig ausgesprochen großzügig erscheint und nicht unbedingt immer von medizinischem Sachverstand geprägt sein muss.

 

Die Versicherung ist zwar ein gutes Sicherungsmittel, sie wird aber im Zweifel nicht die Interessen des Arztes, sondern ihre eigenen Interessen vertreten, die mit denen des Arztes nicht deckungsgleich sein müssen.

 

Es empfiehlt sich deshalb, bereits vor Information der Versicherung einen eigenen Interessenvertreter, mithin einen arzthaftungsrechtlich versierten Rechtsanwalt, einzuschalten. Dieser sollte ausschließlich die Interessen des Arztes und nicht die der Versicherung vertreten.

 

Im Rahmen des Versicherungsverhältnisses hat der Arzt keinen Anspruch auf freie Anwaltswahl und auch keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts. Es gelingt aber häufig, den Wunsch nach einem bestimmten Anwalt gegenüber der Versicherung zu äußern mit der Folge, dass diese zwar nicht die außergerichtlichen Kosten übernimmt, aber dem Anwalt des Arztes die außergerichtliche Vertretung überlässt. Dies ist in mehrfacher Hinsicht sinnvoll: Zum einen können Arzt und Anwalt enger und schneller zusammenarbeiten als Arzt und Versicherung, zum anderen ist so sichergestellt, dass ausschließlich Interessen des Arztes eine Rolle spielen. Das Interesse des Arztes kann dabei sehr unterschiedlich ausfallen und bewegt sich von „Kampf bis aufs Messer" bis zur „schnellen Regulierung ohne Aufsehen".

 

3. Wie geht es weiter?

 

Durch den beauftragten Anwalt sollte zunächst versucht werden, gegenüber der Haftpflichtversicherung und gegenüber dem Patienten die Interessen des Arztes durchzusetzen. In dem Dreieck Versicherung/Arzt/Patient hat der Arzt eine recht schwache Position, da er die wirtschaftliche Entscheidung am Ende der Versicherung überlassen muss und auf diese Entscheidung nur einwirken kann. Entscheidungsträger ist die Versicherung; das ergibt sich als Kehrseite aus der Pflicht der Versicherung, den Schaden im Ernstfall zu regulieren.

 

Die meisten Haftpflichtversicherer sind allerdings recht kundenorientiert und kommen Regulierungswünschen oder Regulierungsablehnungswünschen ihrer Ärzte recht häufig nach.

 

Wird nicht reguliert und der Patient klagt, sollte ebenfalls versucht werden, den eigenen Anwalt als Prozessanwalt einzubinden. Haftpflichtversicherer haben zwar häufig Exklusivverträge mit bestimmten Anwälten, sind aber im Allgemeinen offen für Mandatierungswünsche der versicherten Ärzte. Auch hierbei sollte das Mandat des beauftragten Rechtsanwalts über die bloße Vertretung dem Patienten gegenüber hinausgehen und klar darauf ausgerichtet sein, die Interessen des betroffenen Arztes zu vertreten; das gilt auch und insbesondere für die Interessenvertretung gegenüber der Haftpflichtversicherung. Ein solches Mandat kann sich auch auf eventuelle Weiterungen beziehen (Strafverfahren; Standesrecht; Approbationsrecht).

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