Sehr geehrte Damen und Herren,
herzlich willkommen zur zweiundzwanzigsten Ausgabe meines Mandantenbriefs. Auch wenn das Thema nicht unbedingt weihnachtlich ist, soll es diesmal um die Zuweisung gegen Entgelt, das sogenannte „Kickback“, gehen.
Krebsmedikamente aus Hamburg
Am 18.12.2019 kam es zu einer umfangreichen Durchsuchung bei der Firma ZytoService, die noch am 15.11.2019 auf ihrer Homepage bekannt gab: „Türen auf bei ZytoService: Hamburger Herstellbetrieb lädt zur Besichtigung ein“. Dies hatte offensichtlich die Staatsanwaltschaft wörtlich genommen.
Neben ZytoService wurden auch eine Vielzahl von Ärzten und Apotheken durchsucht. 420 Polizisten waren im Einsatz, man spricht von der größten Razzia, die in Hamburg je in einer Wirtschaftsstrafsache angeordnet wurde. Der zugrundeliegende Vorgang ist kompliziert, ich will aber versuchen, ihn mit kurzen Worten zusammenzufassen: Die Grundidee ist, daß einige Apotheker ein Krankenhaus kaufen und auf diesem Wege die Gründereigenschaft für Medizinische Versorgungszentren erwerben. Ein MVZ können ja bekanntlich Apotheker nicht gründen, genausowenig wie andere Nichtärzte. Krankenhäuser hingegen sind mögliche MVZ-Gründer, und zwar unabhängig davon, wer der Krankenhausträger ist. Es ist also möglich, daß Apotheker eine GmbH gründen, ein wirtschaftsschwaches Krankenhaus billig erwerben und Arztpraxen aufkaufen und diese in Medizinische Versorgungszentren einbringen mit der Folge, daß sie sowohl die Kontrolle über die ambulante als auch die stationäre Patientenversorgung haben und gleichzeitig Apotheken betreiben. Das hierdurch entstehende Kartell arbeitet auf den ersten Blick legal, denn es gibt keine rechtlichen Regeln, die untersagen, daß ein Arzt mit einer Apotheke zusammenarbeitet, nur weil der Apotheker an einer Kapitalgesellschaft beteiligt ist, die vorher die Praxis des Arztes gekauft hat. Umgekehrt gibt es auch keine Regel, die untersagt, daß ein MVZ eine Apotheke beauftragt, die sich in der gleichen wirtschaftlichen Hand befindet wie die Trägergesellschaft des MVZ und die Trägergesellschaft des Krankenhauses, das ermöglicht hat, daß das MVZ gegründet werden konnte. Im Gesetz kommt es auf die Trägergesellschaft des MVZ weitgehend nicht an, sondern immer lediglich auf das MVZ selbst, das rechtlich nichts anderes ist als eine Abrechnungsnummer bei der Kassenärztlichen Vereinigung. Die Bundesregierung mußte auf Nachfrage einräumen, daß sie nicht den geringsten Schimmer hat, wem die knapp 3200 MVZ in Deutschland eigentlich gehören. Diesbezüglich sind derzeit keinerlei Kontroll- und Regulierungsinitiativen erkennbar.
Rechtliche Würdigung
Wie das Strafverfahren ausgehen wird, kann man kaum beurteilen. Die Pressemeldungen, wegen welcher Delikte die Staatsanwaltschaft ermittelt, sind widersprüchlich. Teilweise ist von Betrug, teilweise von Bestechung die Rede. Vielleicht sind dies aber auch nur Arbeitstitel der Staatsanwaltschaft, die sich im Laufe der Ermittlungen zur einen oder anderen Seite konkretisieren werden. Natürlich denkt man auf den ersten Blick an die § 299 a ff. StGB (Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen), dies könnte aber dann nicht einschlägig sein, wenn die Ärzte beim Verkauf ihrer Praxen einen ganz normalen marktgerechten Kaufpreis erhalten haben und eine Gegenleistung in Form der Verpflichtung, die Medikamente bei einer bestimmten Apotheke zu beschaffen, nicht versprochen haben. Das wäre auch gar nicht nötig gewesen, weil die unter neuer Trägerschaft vorhandenen MVZ durch ihre Trägergesellschaft und nicht der einzelne Arzt darüber entscheiden, wo die Medikamente beschafft werden. Wenn tatsächlich die Eigentümer der MVZ dieselben Personen sind wie die Eigentümer der Apotheken, könnte evtl. das Verhalten keine Bestechung darstellen, weil es ja nicht möglich ist, sich selbst zu bestechen. Juristen lieben solche Überlegungen, die Fachjuristen werden das Verfahren also mit großem Interesse verfolgen.
Das MVZ als gesetzgeberischer Betriebsunfall
Der Vorgang zeigt jedenfalls, daß die gesetzliche Regelung der Medizinischen Versorgungszentren alles andere als durchdacht ist. Bereits bei Inkrafttreten des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes war spürbar, daß der Gesetzgeber einen Damm gebrochen hatte, weil erstmals Nichtärzte unmittelbar von der Patientenversorgung profitieren konnten. Damals fiel bereits auf, daß Windelhändler und Taxifahrer Medizinische Versorgungszentren gründen konnten, was später teilweise revidiert wurde. Eine solche Regelung ist verfehlt. Sie führt, was jetzt eindrucksvoll sichtbar wird, zu Korruption und Fäulnis.
Wer hat den Schaden?
Dabei ist der Schaden, der jetzt eintritt, anders als in der Presse zu lesen war, keineswegs ein Schaden bei den gesetzlichen Krankenkassen und den privaten Krankenversicherern. Denn diese müssen die Medikamente ohnehin finanzieren, egal, von welcher Apotheke sie hergestellt und vertrieben werden. Der Schaden liegt vielmehr bei den ehrlichen Apothekern und Pharmazeuten, die um diese Umsätze und Gewinne gebracht werden. Der Schaden für alle Ärzte besteht darin, daß die Bevölkerung einmal mehr von sensationshungrigen Journalisten gegen die angeblich korrupte Ärzteschaft aufgehetzt wird. Der Schaden besteht auch darin, daß der ehemals freie und unabhängige Arztberuf wieder an einer Vielzahl von Orten abgeschafft und durch ausschließlich wirtschaftlichen Interessen verpflichtete Unternehmenskonstrukte ersetzt wurde.
Aus dem Nähkästchen
Kickback kommt im Gesundheitswesen täglich vor. Es gibt nach wie vor Angebote von Leistungserbringern untereinander, Apotheken und Pharmazeuten, die strafbar sind. Zumeist handelt es sich um Zahlungsversprechen, für die dann sogenannte Abdeckrechnungen geschrieben werden. Sehr beliebt ist die Honorierung von Vorträgen mit überhöhten Referentenhonoraren, die Einladung zu Fachtagungen mit eher touristischem als wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn und das Versprechen bestimmter Dienstleistungen bis hin zu prostitutionsähnlichen Handlungen von Pharmareferenten (-innen). Auch Hilfe bei der Suche einer spottbilligen Finca auf den Balearen wurde schon angeboten. Sehr gern läßt man sogenannte Studien beim Einsatz von bestimmten Medikamenten durchführen. Der entsprechende Arzt bekommt dann pro Patient einen DIN A4-Zettel, den er monatlich ausfüllen soll, auf dem lediglich die Frage steht: Medikament vertragen? ja/nein. Er macht dann ein Kreuz und unterschreibt den Zettel und bekommt für jeden Zettel einen Betrag von 100 €. Dies ist eine sehr primitive Art des Kickbacks, die gleichwohl noch in Gebrauch ist.
Und die Pathologie?
Der Fall könnte in ähnlicher Form in der Pathologie wahrscheinlich nicht stattfinden, weil Pathologen in aller Regel nicht über Verordnungsmacht verfügen und das Behandlungsregime zwar unterstützen, aber nicht lenken. Gleichwohl ist er ein aktueller Anlaß, etwas über Kickback in der Pathologie zusammenzutragen:
Zunächst einmal: Kickback – oder Zuweisung gegen Entgelt – ist nicht nur an einer Stelle des Gesetzes verboten, sondern gleich an vielen. § 31 der Musterberufsordnung stellt ein Verbot auf, „… für die Zuweisung von Patientinnen und Patienten oder Untersuchungsmaterial oder für die Verordnung oder den Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln oder Medizinprodukten ein Entgelt oder andere Vorteile zu fordern… oder selbst zu versprechen oder zu gewähren“. Im Strafgesetzbuch ist neben den bereits besprochenen Bestechungstatbeständen der Betrugstatbestand einschlägig, denn ein Arzt, der bei der Behandlung eines Patienten ein „Streckengeschäft“ macht, ohne den hierbei entstehenden Gewinn dem Patienten in Gutschrift zu bringen, begeht einen Betrug. Dies gilt insbesondere im Bereich der Privatabrechnung. Die Zulassungsverordnung für Ärzte wiederholt das gleiche Verbot für den kassenärztlichen Bereich § 33 Abs. 2, eine weitere gleichförmige Regelung ergibt sich aus § 73 Abs. 7 SGB V. Der Gesetzgeber will also in jedem Bereich ärztlicher Tätigkeit die Zuweisung gegen Entgelt vermeiden und stellt sie unter Strafe.
Es ist bekannt, daß ein Entgelt für die Zuweisung von Patientenmaterial von Einsendern hier und da gefordert wird, insbesondere in Form von Bargeldzahlungen. Solche Offerten sollten unbedingt zurückgewiesen werden und lieber auf den Einsender verzichtet werden. Das Entdeckungsrisiko ist erheblich und die Rechtsfolgen sind absolut existenzbedrohend (Geld- und Freiheitsstrafen, Honorarrückforderungen, Approbationsverlust).
Speziell: Zusammenarbeit mit Gynäkologen
Bei Einführung der § 299a StGB (Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen) wurde diskutiert, ob die Lieferung von Abstrichmaterialien an Gynäkologen gegen das Gesetz verstößt. Das war unter Juristen umstritten, weil Gynäkologen diese Leistung gegenüber den Krankenkassen abrechnen konnten. Mit der Neuregelung zur Abrechnung der gynäkologischen Zytologie zum 01.01.2020 ist dieses Problem vom Tisch, da die Materialien dann vom Pathologen mit der KV abgerechnet werden können (Bestandteil der Ziffern 01762 für Zyto bzw. 01763 für HPV beim Primärscreening, 01766 und 01767 bei der Abklärung) und damit ohnehin von diesem zu beschaffen und bezahlen sind. Die Leistung des Gynäkologen beschränkt sich auf die Abstrichentnahme, für die es eine eigene Ziffer gibt. Abstrichmaterialien inclusive Fixierspray dürfen deshalb ab dem 01.01.2020 den Gynäkologen kostenfrei zur Verfügung gestellt werden.
Durch die Einführung des Zytologie-Screenings ergeben sich neue Kickback-Anreize. Zum einen nimmt die Attraktivität von Gynäkologen für Labormediziner deutlich zu, die Vertreter der Konzerne sind bereits flächendeckend mit Hochglanzbroschüren unterwegs. Zum anderen haben Gynäkologen das Problem, daß sie zwar weiter zytologisch tätig sein können, aber die HPV-Untersuchungen nicht selbst anbieten können. Gynäkologen suchen deshalb teilweise Kontakt zu Pathologen mit dem Ziel, Teil-Gemeinschaftspraxen zu gründen, um zytologische und HPV-Untersuchungen anbieten zu können. Das ist auf den ersten Blick eine sehr gute Idee, zu beachten ist aber folgendes: Für Teil-Gemeinschaftspraxen gibt es eine spezielle gesetzliche Regelung in § 33 Abs. 2 Satz 3 der Ärzte-ZV, in der die Pathologen sogar als potentielle Nutznießer oder Anstifter einer Kickback-Lösung besondere Erwähnung finden, ein Generalverdacht, der eigentlich nicht in ein Gesetz gehört. Die Regelung lautet: „Die gemeinsame Berufsausübung, bezogen auf einzelne Leistungen, ist zulässig, sofern diese nicht einer Umgehung des Verbots der Zuweisung von Versicherten gegen Entgelt … dient. Eine Umgehung liegt insbesondere vor, wenn sich der Beitrag des Arztes auf das Erbringen medizinisch-technischer Leistungen auf Veranlassung der übrigen Mitglieder einer Berufsausübungsgemeinschaft beschränkt oder wenn der Gewinn ohne Grund in einer Weise verteilt wird, die nicht dem Anteil der persönlich erbrachten Leistungen entspricht. Die Anordnung einer Leistung, insbesondere aus den Bereichen der Labormedizin, der Pathologie und der bildgebenden Verfahren, stellt keine persönlich erbrachte anteilige Leistung in diesem Sinne dar.“
Die Gründung einer Teil-BAG zwischen Gynäkologen und Pathologen ist trotzdem möglich, es ist nur darauf zu achten, daß bei der Gewinnverteilung die Gynäkologen nicht an den durch die HPV-Untersuchungen erzielten Gewinnen teilhaben.
Zum Schluß
In eigener Sache darf ich noch bekanntgeben, daß mir die medizinische Fakultät der Universität Nürnberg-Erlangen den akademischen Grad eines „Master in Health and Medical Management“ verliehen hat. Meine Masterarbeit habe ich über ein Thema mit Bezug zur Molekularpathologie geschrieben.
Das vergangene Jahr war bestimmt durch die Themen Molekularpathologie, Plausibilitätsprüfung, Datenschutz und Sitzvergabe. Durch diese und andere Themen verspricht das Leben auch im kommenden Jahr interessant zu bleiben. Ich bedanke mich wie immer herzlich für Ihr Interesse. Meine Praxis bleibt über die Feiertage und den Jahreswechsel geschlossen. Ich wünsche Ihnen allen ein friedvolles Weihnachtsfest und ein erfolgreiches Jahr 2020.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Renzelmann, RA