Sehr geehrte Damen und Herren,
herzlich willkommen zur dreiundzwanzigsten Ausgabe meines Mandantenbriefs. Diesmal soll es um die seit dem 01.01.2020 geltende Neuregelung der Genexpressionsdiagnostik für gesetzlich versicherte
Patienten gehen. Hierzu hatte am 05.02.2020 der Bundesverband Deutscher Pathologen eine umfangreiche Mailaussendung an seine Mitglieder geschickt. Mit E-Mail vom 11.02.2020 teilte der
Bundesverband Deutscher Pathologen mit, er ziehe die Mail vom 05.02.2020 zurück, werde den Text so nicht weiterverwenden und bitte alle Adressaten, ebenso zu verfahren.
Ich bin in den letzten Tagen von sehr vielen Pathologen auf den Vorgang angesprochen worden und insbesondere gefragt worden, ob das, was in der ersten Mail stand, falsch gewesen sei. Hierzu ist
auszuführen, daß - allgemein formuliert - der Widerruf von mitgeteilten Tatsachen und geäußerten Meinungen in der Öffentlichkeit keineswegs heißt, daß diese Tatsachen unwahr sind und auch nicht,
daß die geäußerten Meinungen falsch sind. Ein solcher Widerruf kann – und wird in der Regel – den Grund haben, daß man eine juristische Auseinandersetzung vermeiden will, weil man hierauf keine
Kraft und kein Geld verschwenden möchte.
Große Pharmafirmen haben in der Regel eine nahezu unerschöpfliche Kriegskasse. Man muß deshalb sehr vorsichtig sein, wenn man sich über Produkte solcher Firmen und insbesondere auch die
Zusammenarbeit mit solchen Firmen kritisch äußert. Es ist aber natürlich erlaubt und möglich, sich mit derartigen Situationen juristisch und politisch zu befassen. Da ein konkreter
Beratungsbedarf besteht, fasse ich die Gründe für die Unzufriedenheit der Ärzte mit den Gegebenheiten zusammen wie folgt:
1.
Der Gesetzgeber hat den Oncotype-Test mit einer eigenen Gebührenziffer im EBM verankert. Dies ist bereits deshalb ein einmaliger Fall, weil hier ein diagnostisches Verfahren mit Gesetzeskraft
monopolisiert wird, das nur von einer einzigen Firma angeboten wird. Dies widerspricht dem Grundsatz der freien Marktwirtschaft und beseitigt im Bereich der Genexpressionstests den freien
Wettbewerb fast vollständig. Es könnte deshalb gegen die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen, was früher oder später die Verfassungsrechtler auf den Plan rufen
dürfte.
2.
Erstaunlich an dem Vorgang ist auch, daß der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung durchbrochen wird. Dieser Grundsatz gilt im Medizinrecht umfassend. Selbst wenn Leistungen an
nichtärztliches Personal delegierbar sind, hat der Leistungserbringer das Personal grundsätzlich durchgehend zu beaufsichtigen. Gerade im Laborbereich hat es wegen Verletzung dieses Grundsatzes
eine Vielzahl von Strafverfahren gegeben. Nunmehr soll nur für diesen einen Genexpressionstest der Grundsatz nicht mehr gelten. Dies beruht offenbar allein auf der Tatsache, daß der Test in
Amerika abgearbeitet wird, obwohl man ein entsprechendes Diagnostikzentrum ja auch in Deutschland betreiben könnte. Hier ist also ein ganz zentraler Grundsatz des Arztrechts zugunsten
wirtschaftlicher Partikularinteressen eines Pharmaunternehmens aufgegeben worden. Dies ist nach meiner Meinung medizinpolitisch mehr als bedenklich und ein Einfallstor für zukünftige Fälle.
3.
Die deutschen Pathologen stehen nunmehr vor der Entscheidung, ob sie den Test anbieten wollen oder nicht. Sie sind in dieser Entscheidung frei. Ich habe zunächst überlegt, ob die Verweigerung des
Tests durch einen Pathologen eine unterlassene Hilfeleistung oder eine Verletzung des kassenarztrechtlichen Versorgungsauftrags darstellen kann. Dies kann aber nicht der Fall sein, da es jedem
Arzt freisteht, bestimmte Leistungen nicht zu erbringen, wenn diese nicht zum Kerngebiet des Faches gehören. Beispielsweise erbringt längst nicht jede Pathologie gynäkologisch-zytologische
Leistungen, molekularpathologische Leistungen oder Obduktionen. Für einen Genexpressionstest kann nichts anderes gelten als zum Beispiel für HPV-Untersuchungen. Es besteht keine isolierte
Pflicht, diese Untersuchungen zu erbringen.
4.
Viele Pathologen haben gleichwohl das Problem, daß ungehaltene Kliniker von Ihnen die Leistungserbringung verlangen. Das ist natürlich eine Frage des kollegialen Umgangs miteinander. In den
meisten Fällen wird es genügen, mitzuteilen, daß man selbst die Leistung nicht erbringt und um Auskunft zu bitten, wo man das Material hinschicken soll. Problematisch dabei ist, daß die meisten
Ärzte, die diese Leistungen bisher in großem Umfang erbracht haben, ihre alten Verträge mit der Pharmafirma gekündigt haben und jetzt ihrerseits alles zurückschicken. Hierdurch entsteht eine
Versorgungslücke. Gesetzlich versicherte Patientinnen, die gleichwohl den Test beanspruchen und auch selbst bezahlen wollen, können ihnen nicht erhalten, weil er im EBM steht und insoweit eine
Vereinbarung von IGeL-Leistungen nicht zulässig ist. Die Situation ist verfahren.
5.
Dementsprechend geraten viele Pathologen in Versuchung, den Test trotz der Nachteile
anzubieten. Diese strukturellen Nachteile will ich noch einmal, soweit dies zum jetzigen Zeitpunkt möglich ist, auflisten:
- Für den die Leistung erbringenden Pathologen ist die Vergütung nicht auskömmlich. Durch den vom Anbieter aufgerufenen Preis beträgt das Honorar auf dem Papier zunächst gut 60,- € nach Ziffer
19501 EBM.
- Die Herstellerfirma ist der Meinung, der gesamte darüber hinaus gezahlte Betrag von 3.296,50 € gemäß Ziffer 19502 EBM stehe ihr zu. Eine Beteiligung der Ärzte an diesem Betrag sei nicht
erlaubt, da es sich insoweit um eine Rabattierung bei Sachkosten handeln würde, die an die Krankenkasse weiterzugeben sei. Das ergebe sich bereits aus der Tatsache, daß keine EBM-Punkte, sondern
eine Euro-Summe ausgewiesen sei. Hierüber kann man aber ganz anderer Meinung sein: Eine Punktzahl muß deshalb nicht ausgewiesen werden, weil es sich um extrabudgetäre Leistungen handelt und eine
Bepunktung damit nicht notwendig ist. Im übrigen sind Sachkosten in anderen EBM-Positionen wörtlich als Sachkosten gekennzeichnet. Das Wort fehlt im Leistungstext der Ziffer 19502. Schließlich -
und das dürfte entscheidend sein – geht der Gesetzgeber in § 25 Abs.2 Ziff. 3 des Bundesmantelvertrags Ärzte von einer delegierbaren ärztlichen Leistung und nicht von einer Sachleistung aus.
Diese Vorschrift lautet: „Für die Erbringung des biomarkerbasierten Tests beim primären Mammakarzinom … gilt abweichend von Nr. 2, dass die molekularbiologische Analyse von Tumorgewebe und die
daraus resultierende Ermittlung eines Risikoscores in Bezug auf das Rezidivrisiko auf Anordnung des Vertragsarztes als Teil der ärztlichen Behandlung in den USA erbracht werden kann.“ Wäre mit
Ziffer 19502 nur die Weitergabe von Sachkosten beschrieben, hätte man keine Ausnahme vom Prinzip der persönlichen Leistungserbringung machen müssen. Das rechtliche Problem bei der Installation
von Oncotype im EBM war ja gerade, daß es sich um eine ärztliche Leistung handelt. Die Testung ist kein durchreichbares Medizinprodukt, sondern eine ärztliche Diagnostik, für die der Pathologe
verantwortlich ist. Ziffer 19502 ist Arzthonorar.
- Ich gehe derzeit nicht davon aus, daß die Durchführung des Tests vollständig kostenfrei und risikolos ist. Es besteht evident das folgende Risiko: Die KV kann Verwaltungskosten in Abzug
bringen im Umfang von durchschnittlich ca. 130,- €. Die Herstellerfirma geht davon aus, daß gängige Praxis in allen KVen wird, daß diese darauf verzichten. Eine höchst optimistische
Sichtweise.
Richtig ist, daß ein durch die Ziffer zu generierender Gewinn nach jetzigem Sachstand wohl ausgeschlossen werden kann.
- Das Risiko der Gewerblichkeit (Gewerbesteuer-Infektion) kann man derzeit eher vernachlässigen. Richtig ist, daß es sich um eine gewerbliche Tätigkeit handelt. Aber Gewerbesteuer fällt nur
dann an, wenn gewerbesteuerpflichtige Gewinne erwirtschaftet werden. Da man mit dem Test derzeit eher Verluste erwirtschaften wird, droht aktuell keine Gewerbesteuerinfektion.
- Der Pathologe trägt in der Leistungskette das alleinige Risiko für Forderungsausfälle. Das bedeutet, daß dann, wenn eine gesetzliche oder vor allem eine private Krankenversicherung die
Leistung nicht bezahlt, der Pathologe trotzdem seine Rechnung für den Test bezahlen muß und damit der Patientin diese sehr kostenintensive Diagnostik schenkt. Bei der privaten Krankenversicherung
kommt das übliche Insolvenzrisiko des Patienten hinzu, da ein Direktanspruch gegen den privaten Krankenversicherer nicht gegeben ist und bei dieser doch sehr erheblichen Summe manche Patientin
auf die Idee kommen könnte, von dem Geld in den Urlaub zu fahren, statt es an den Pathologen weiterzuleiten. Ein solches Verhalten ist ja bereits bei den sonstigen eher kleinen
Pathologie-Rechnungen schon etwa in 1-2 % der Fälle zu verzeichnen (je nach Patientenklientel). Falls nur eine Patientin nicht bezahlt, muß man im privatärztlichen Sektor ca. 50 Tests gratis
durchführen, um den Verlust wieder hereinzubekommen. Diese im Vergleich zu sonstigen Untersuchungen in der Pathologie sehr schlechte Quote beruht darauf, daß der Testanbieter den Ärzten keine
angemessene Gewinnspanne zubilligt.
- Die Leistungen müssen von den Ärzten vorfinanziert werden. Es gibt grundsätzlich die Möglichkeit, daß die Kassenärztliche Vereinigung auf Antrag erhöhte Abschlagszahlungen leistet. Hierzu muß
man aber dann relativ schnell wissen, wieviel Tests man insgesamt durchführen wird. Bei Privatpatienten wird ein Zahlungseingang innerhalb von 60 Tagen, wie es zunächst verlangt wurde, in der
Regel nicht lückenlos durchzusetzen sein. Das bedeutet, daß insbesondere dann, wenn ein Pathologe eine Vielzahl von Tests durchführt, ein erheblicher Zwischenfinanzierungsbedarf besteht. Da
dieser Bedarf permanent bestehen wird, ist eine hohe Verschuldung des jeweiligen Arztes wohl unvermeidbar. Die Herstellerfirma hat in einem Rundschreiben eine Verlängerung des Zahlungsziels auf
120 Tage in Aussicht gestellt. Das reicht aber immer noch nicht aus, um die Zahlung der KV abwarten zu können. Interessant ist, daß die Herstellerfirma nach eigenem Bekunden kein Problem mit
einer „indirekten Rückvergütung“ durch eine Verlängerung des Zahlungszieles auf 120 Tagen hat, aber nicht auf für die Ärzte erforderliche 6-8 Monate verlängern will. Was soll der Unterschied
sein?
- Die Problematik des Haftungsrechts besteht: Selbstverständlich haftet für schuldhaft herbeigeführte Behandlungsfehler im Rahmen der Testung der Pathologe. Er ist es, der mit der Patientin
einen Behandlungsvertrag unterhält und nicht das Pharmaunternehmen. Die Mitarbeiter des Pharmaunternehmens, die gegebenenfalls einen Fehler machen, sind nach deutschem Recht Erfüllungsgehilfen
beziehungsweise Verrichtungsgehilfen des Arztes. Bevor man also den Test anbietet, sollte man dringend mit seinem Haftpflichtversicherer sprechen und sich schriftlich versichern lassen, daß die
Testung durch die eigene Berufshaftpflichtversicherung gedeckt ist. Es handelt sich versicherungsrechtlich bei der Anzeige der Tätigkeit um eine Obliegenheit, da eine Risikoerhöhung vorliegt
(Fremdpersonal im Ausland, das nicht vom Versicherungsnehmer kontrolliert werden kann, das er nicht einmal kennt und dessen Tätigkeit er nicht beschreiben kann). Bei Verletzung einer solchen
Obliegenheit kann man den Versicherungsschutz verlieren.
- Ganz schwierig ist die Situation für Pathologen in Bundesländern, deren Honorarverteilungsmaßstab bei Teilzeittätigkeit und im Jobsharing eine Kappungsgrenze auf den Facharztdurchschnitt
festlegt (z.B. Niedersachsen). Wenn man, was in aller Regel der Fall ist, ohnehin schon ungefähr so viel kassenärztliche Leistungen erbringt wie die Facharztgruppe, führt dies dazu, daß man für
den Genexpressionstest überhaupt kein Geld bekommt und diesen selbst bezahlen muß. Dies gilt nach der einschlägigen Rechtsprechung auch und insbesondere für extrabudgetäre Leistungen, soweit der
HVM diese nicht ausdrücklich ausnimmt. Solche Ausnahmen können bisher bereits aufgrund der Neuheit der Ziffer nicht geregelt sein.
6.
Insgesamt bin ich der Auffassung, daß die derzeitige rechtliche und wirtschaftliche Situation für Pathologen unzumutbar ist. Das Vorgehen der Selbstverwaltungskörperschaften, insbesondere des
gemeinsamen Bundesausschusses, ist unverständlich. Hier wurde zu Lasten der Ärzte eine Regelung geschaffen, die eine Leistungserbringung zum Wohle der Patientinnen massiv erschwert. Es ist kaum
verständlich, daß der Ausschuß vitale Grundsätze des Kassenarztrechts geändert hat, statt die Auflage zu machen, daß der Test in Deutschland erbracht wird. Die jetzt beschlossene Lösung bringt
maximale Vorteile für die Pharmaindustrie und maximale Nachteile für die Pathologen. Erstaunlicherweise führt das Pharmaunternehmen selbst in einem Rundschreiben aus, die Regelung sei vom
Bewertungsausschuß wahrscheinlich aus dem Grund gewählt worden, daß man die Pathologen zu Haftungsschuldnern für die Untersuchung machen wollte. Man muß sich das einmal auf der Zunge zergehen
lassen: Der Pathologe haftet für eine Leistung, die er nicht kontrollieren kann und für die er kein Geld bekommt. Erbringt er gleichwohl diese Leistung aus Rücksicht auf das Patientenwohl, begibt
er sich in die Rolle des „nützlichen Idioten“.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Renzelmann, RA